Factory Photobooks

„Oh je, schon wieder ein Buch über Fotobücher“ wird der eine oder die andere sagen. „Haben wir nicht schon genug davon?“ Nein, natürlich nicht, und dieses Buch hat wirklich noch gefehlt. Der Amsterdamer Fotograf Bart Sorgedrager (* 1959) hat eine Anthologie zum Industriethema konzipiert, schloss dabei aber Dienstleistungsfirmen aus, die ebenfalls Fotobücher zu Jubiläen, zur Werbung oder zur Einweihung neuer Gebäude publiziert und an die Kunden verschenkt haben. Sorgedrager ging es vor allem um Fabriken, in denen physisch fassbare Produkte hergestellt wurden oder werden, sei(en) es Stahl, Fahrzeuge, Bier oder Papier. Dafür wurden Fotobücher aus westlichen bzw. kapitalistischen Ländern herangezogen, während die Phase der Planwirtschaft in osteuropäischen Ländern außen vor bleibt. Die Zeitspanne reicht dabei ab 1890 über etwa 100 Jahre. Da keine Vollständigkeit angestrebt wurde (was auch utopisch wäre) und als Basis die erstaunliche Sammlung des Herausgebers diente (hin und wieder um rare Exemplare aus Bibliotheken oder von anderen Sammlern ergänzt), bietet Factory Photobooks vor allem eine sowohl subjektive als auch kompetente Auswahl, bei der natürlich einige wichtige Klassiker des Genres nicht fehlen durften (AEG 1908, Krupp 1912, NKF). Kennzeichen aller ausgewählten Publikationen ist eine hohe Qualität und/oder Originalität von Gestaltung, Fotos, Druck, Ausstattung und Verarbeitung. Zu sehen ist sozusagen nur die Spitze eines Eisbergs. Der Kosmos der fotoillustrierten Firmenschriften ist unermesslich; von daher ist dieser straffe, auf einen Katalog von etwa 175 Titeln konzentrierte Überblick hilfreich.

Sorgedrager gliederte sein Werk in neun Kapitel, denen jeweils ein einleitendes Essay vorangestellt wurde. Anschließend werden dann etliche Bücher auf einer oder zwei Doppelseite(n) in Wort und Bild präsentiert, wobei für die Katalogtexte der Schwerpunkt mehr auf ein Kurzporträt der Firmen und weniger auf die Form und Geschichte der betreffenden Publikation gelegt wurde. Es geht nicht nur um Bücher, sondern auch um andere Spielarten gedruckter Fotografie: eine Art Best-of als Einstieg, die Bücher des bislang unbeachteten Fotobuchpioniers Willi Roerts, Drucksachen als Souvenirs für Firmenbesucher, Firmenbücher aus der Produktion der Druckerei Draeger Frères, Bücher aus der Eisen- und Stahlindustrie, Firmenbücher bekannter Fotografen, Werbeobjekte mit Fotos (Leporellos, Stereokarten etc.), dann eine kleine Auswahl klassischer oder unbekannter niederländischer Firmenbücher und zuletzt reiht sich der in seinem Schaffen auf Darstellungen von (noch) produzierenden bzw. kurz vor der Schließung stehenden Fabriken spezialisierte Fotograf Sorgedrager mit seinen eigenen Büchern ein, was sowohl für Selbstbewusstsein als auch für die Qualität seiner Arbeit spricht. Eine ausfaltbare Chronologie, ein Anmerkungsapparat und ein Register runden das Buch ab. Dessen Gestaltung gibt jeder vorgestellten Publikation genügend Raum, sodass das Lesen und Entdecken nicht ermüdet und wirklich Spaß macht.

Da ich selbst als Autor einer der einleitenden Essays an dem Buch mitgewirkt habe, möchte ich es bei bei diesen Zeilen belassen. Mir gefällt Sorgedragers Buch, es wird als Basis für weitere Forschungen im Laufe der Zeit den Charakter eines unverzichtbaren Standardwerks bekommen so wie es auch bei den Bänden von Martin Parr und Gerry Badger der Fall war, die zunächst „nur“ eine Sammlung abbilden sollten…

Die „Timeline“ mit allen vorgestellten Publikationen.