Schöne neue DDR-Welt im Fotobuch

Nach dem umfassenden Kompendium „Deutschland im Fotobuch“, vor 14 Jahren erschienen, legt Thomas Wiegand ein weiteres Buch über Fotobücher vor. Es trägt den rätselhaften Titel „Freude, Frohsinn, Kannibalen“ und widmet sich den Fotobüchern aus der DDR. 

Der Band ist quasi die Quintessenz jahrelanger weiterer Recherche, Sichtung und Forschung und ergänzt, beziehungsweise vertieft den Vorgänger sehr eindrücklich. War „Deutschland im Fotobuch“ noch ein schwerer Foliant im Querformat, der die Bedeutung des Mediums Fotobuch nicht nur inhaltlich, sondern auch optisch wie haptisch unterstrich, kommt der aktuelle Band durchaus bescheidener daher, nämlich in einem soliden, unkaschierten Pappschuber mit einem kleinen, den Titel tragenden Foto auf der Vorderseite. Das Buch ist handlich und offen gebunden, das heißt, die über 550 fadengehefteten Seiten lassen sich überall plan aufklappen. 

Erich Honnecker blickt uns schon mal vom Buchrücken als Autobiograf entgegen. Das Kompendium dem Schuber entnommen, erkennt man auf seinem hochglänzenden Umschlag das Schaufenster einer Buchhandlung (Fotograf: Dietmar Riemann). Man meint wirklich, durch das glatte, spiegelnde Glas, in welchem DDR- und 1.-Mai-Fahnen reflektieren, auf die Auslage dahinter zu blicken. Diese wartet mit allerlei Propagandawerken zum aktuellen Anlass auf. Das ist eine sehr schöne gestalterische Idee, die zugleich und ganz nebenbei den vornehmlichen Sinn und Zweck der DDR-Fotobuchproduktion umreißt. Es ging, das stellt Wiegand denn auch auf der ersten Seite seiner umfassenden Darstellung klar, vor allem um Propaganda. Schöne DDR-Landschaften, schöne DDR-Städte und deren großartiger Wiederaufbau nach dem Krieg, die Segnungen der Planwirtschaft, die sich für den Sozialismus begeisternden Menschen, glorreiche Sportereignisse, Industrialisierung, Technik, Fortschritt usw. Kultur und Arbeit in der Planwirtschaft wurden ebenso fotografisch zwischen zwei Buchdeckeln gefeiert, wie die großartigen Staatsführer und Polit-Repräsentanten, die sich mit opulenten Bildbänden millionenfache Jubeldenkmale setzten, wovon wahrscheinlich die allermeisten auf dem Müllhaufen gelandet sein dürften. 

Hat Wiegand für „Deutschland im Fotobuch“ insgesamt „287 Fotobücher zum Thema Deutschland aus der Zeit von 1915 bis 2009“ (Untertitel) ausgewählt und diese in kurzen Charakteristiken mit bibliografischen Angaben und großen Bildstrecken vorgestellt, beschreitet er im DDR-Band einen anderen Weg: Er betrachtet die Fotobuchproduktion insgesamt aus der Perspektive der DDR-Buchgeschichte und bettet sie darin ein. So thematisiert er detailliert Aspekte wie Produktion, Vertrieb und Rezeption, Auftrag, Rolle und Kunstwürdigkeit, Buchausstattung und Layout. Auf die Arbeit und Rollen von Buchgestalterinnen und -gestaltern geht er ebenso ein wie auf die der Fotografinnen und Fotografen. Trotz großer Textmasse kommen die Abbildungen nicht zu kurz. Wiegand zeigt von allen erwähnten Werken deren Cover und vermittelt gestalterische Einblicke über Reproduktionen von aufgeschlagenen Doppelseiten. 

Der sechzigseitige Anhang enthält neben einem Register eine umfassende thematisch gegliederte Bibliografie, anhand derer sich leicht, je nach Interessenlage, im Internet-Antiquariat recherchieren lässt. 

„Freude, Frohsinn, Kannibalen“ dürfte über lange Zeit des gültige Standardwerk zum Thema DDR-Fotobücher sein. Die (nur noch langsam) wachsenden Anzahl von Büchern über Fotobücher ergänzt es trefflich. Was es mit dem Titel auf sich hat? Finden Sie es heraus!

  • Titel: Freude Frohsinn Kannibalen
  • Untertitel: Fotobücher aus der DDR – Ein Überblick
  • Textautor: Thomas Wiegand
  • Gestalter: Thomas Wiegand
  • Verlag: Jenior
  • Verlagsort: Kassel
  • Erscheinungsjahr: 2025
  • Sprache: deutsch
  • Format: 26 x 21 cm
  • Seitenzahl: 564
  • Bindung: Softcover mit offenem Rücken, Schutzumschlag und Schuber
  • Preis: 125 €
  • ISBN: 978-395978-113-8
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