Fotobücher von Frauen in historischer Perspektive

Von „How we see“ zu „What they saw“

Frauen_SU_v

Nachdem die Nonprofit-Organisation 10 x 10 Photobooks 2018 einen, inzwischen in der 3. Auflage vorliegenden Überblicksband How we see zum Thema Fotobücher von Frauen mit Schwerpunkt auf die aktuelle Szene vorgelegt hatte, folgte nun der historische Überblick What they saw über den Zeitraum von 1843 bis 1999. Das Buch ist erfreulich übersichtlich gestaltet und es gibt auch keine Auswahlen von 10 Büchern von 10 Personen mehr. Die Anordnung folgt nunmehr sowohl dem Zeitstrahl als auch bestimmten thematischen Schwerpunkten (1843-1919 =Wegbereiterinnen, 1920-1935 = Die neue Frau, 1956-1964 = Bücher als Bomben etc.). Neben ausführlicher mit Text, Bibliographie und mindestens zwei Reproduktionen vorgestellten Hauptwerken werden in der Marginalspalte noch weitereBücher genannt und zusätzliche Informationen über Ereignisse, Autorinnen etc. gegeben. Details über Auflagen, Ausgaben und Ausstattungen finden sich jedoch nur kursorisch in den Buchporträts. Jedes der zehn Kapitel wird von einem Essay eingeleitet (von denen drei von Männern beigesteuert wurden!), zudem gibt es ein Vorwort der beiden Herausgeberinnen, eine Gesamteinleitung sowie zum Abschluss eine kurze Liste von fotogeschichtlichen Werken von Frauen und einen Index. Der Schutzumschlag zeigt alle vorgestellten Bücher auf einen Blick.

Frauen_SU_ganz

Die Buchauswahl berücksichtigt zwar auch unbekanntere Titel, scheint aber aber auf Amerika zentriert zu sein. Lateinamerika und Japan sind eher gut vertreten, andere Regionen (Osteuropa, Skandinavien und deutschsprachige Länder) eher unterrepräsentiert. So sucht man Marie Sechtlovas Vsechny Oci (mit Gedichten von Jan Noha, 1964) oder ein Werk der rumänische Fotografin Hedy Löffler ebenso vergeblich wie die mit Fotobüchern verknüpften Namen von Ruth Hallensleben, Candida Höfer, Herlinde Koelbl, Gabriele Lorenzer, Elisabeth Niggemeyer Barbara Pflaum, Evelyn Richter, Edith Rimkus, Eva Siao, Abisag Tüllmann oder Ylla. Dafür ist Erna Lendvai-Dircksen mit gleich zwei Büchern dabei, während Charlotte Rohrbach fehlt. Ellen Auerbach ist mit einer Monografie vertreten, Grete Stern aber nicht. Dominique Darbois erscheint nur als Randfigur. In zwei Fällen wurden Unikate aufgenommen, vielleicht, weil die Herausgeberinnen die Namen der Urheberinnen unbedingt dabei haben wollten, es aber keine passenden (publizierten) Fotobücher gab. Auch für Fotobücher von Frauen gilt: Eine Auswahl wird nie perfekt sein.

Frauen_2

Frauen_1

Es fällt eine Häufung von Büchern für und über Kinder auf. Es mag an der traditionellen, erst in den letzten Jahrzehnten sich ändernden Rolle der Frau liegen, dass diese Themen einst näher lagen als Kriegsreportagen, Reiseberichte und Firmenbücher. Aber natürlich gibt es auch dazu Beispiele z.B. von Margret Bourke-White oder, als einziges(?) Firmenbuch, Madaus – Eine aufgeschlossene Firma mit Fotos von Barbara Schulten. Ein anderes frauenspezifisches Thema sind die Emanzipationsprozesse, die in den letzten Jahrzehnten in Fotobüchern thematisiert wurden, was sich auch in What they saw widerspiegelt. Eine zentrale Frage ist noch, welche Rolle man der Gestalterin oder dem Gestalter eines Fotobuchs einräumt. Eine Interpretation greift zu kurz, wenn die Qualität eines Fotobuchs (unabhängig von dessen Thema) vor allem an der Qualität der Fotos festgemacht wird. Gute Fotos können schlechte und schlechte Fotos phantastische Bücher ergeben. Egal wie man „gut“ und „schlecht“ definiert: Entscheidend ist das Layout, also wie mit den Bildern umgegangen wurde. Ob den Gestalterinnen und Herausgeberinnen von Fotobüchern bzw. der Frage nach der Gestaltung ähnlicher Raum eingeräumt wurde wie den Fotografinnen?

Die Herausgeberinnen bemängeln im Vorwort eine zu geringe Berücksichtigung der Werke von Frauen im bisherigen Fotobuchkanon – einerseits gibt es in der nun präsentierten Auswahl mit diesem einige Überschneidungen, andererseits aber auch reichlich Neuentdeckungen. Das schöne, auf dünnes Papier gedruckte und trotz seiner Größe handliche Buch wird zweifellos Ausgangspunkt weiterer Forschungen sein.

Frauen_beide

Links der Band von 2018

  • Titel: What They Saw
  • Untertitel: Historical Photobooks by Women 1843–1999
  • Bildautor: (diverse)
  • Textautor: (diverse)
  • Herausgeber: Russet Lederman, Olga Yatskevich
  • Gestalter: Ayumi Higuchi
  • Verlag: 10×10 Photobooks
  • Verlagsort: New York
  • Erscheinungsjahr: 2021
  • Sprache: englisch
  • Format: 30 x 24 cm
  • Seitenzahl: 352
  • Bindung: illustriertes Softcover, illustrierter Schutzumschlag
  • Preis: 85 $
  • ISBN: 978-0-578-93213-2

Kommentarfunktion geschlossen.